Ein Foto des litauischen Fotografens Tadas Kazakevicius zeigt einen ästhetisch-inszenierten geschlachteten Hahn. Für Instagram ist das deutlich zu viel. Die Social-Media-Plattform stuft das Bild als sensiblen Inhalt ein und spielt es nur verschwommen aus. In einer Zeit, in der in Deutschland jährlich hunderte Millionen Hühner geschlachtet werden, scheint das paradox. Steht dieses Foto und die Reaktionen darauf stellvertretend für die seltsame Beziehung, die unsere Gesellschaft zu Fleisch hat?
Dürre Legehennen mit zerrupften Federn am Leib, die in dunklen Ställen eingepfercht sind. Männliche Küken, die einfach lebendig geschreddert werden, weil sie für unser System der Lebensmittelproduktion nichts taugen. Masthähnchen, die bereits ein paar Wochen nach ihrer Geburt unter ihrem eigenen Gewicht zusammenbrechen. Viele Menschen dürften diese Bilder aus Nachrichten und Dokumentarfilmen kennen. Oft lösen sie Empörung aus – wenn auch in der breiten Masse nur für kurze Zeit.
User müssen aktiv zustimmen, um das Foto wirklich sehen zu können
Das Foto, das vergangene Woche auf dem Instagram-Kanal des Fotografie-Magazins „Fisheye“ gepostet wurde, zeigt ebenfalls einen Hahn. Geschlachtet, gerupft und noch roh. Eben wie ein küchenfertiges Hähnchen vor der Zubereitung so aussieht. Das allein wäre abgesehen von der ästhetischen Inszenierung kaum erwähnenswert gewesen. Doch Instagram spielt das Foto verschwommen aus und hat es mit dem Kommentar „Dieses Foto enthält sensible Inhalte, die einige Menschen als anstößig oder verstörend empfinden könnten.“ versehen. User müssen aktiv zustimmen, um das Foto wirklich anschauen zu können.
Instagram will so Nutzer vor eventuell unangebrachten Fotos schützen. Doch die Tatsache, dass die Social-Media-Plattforrm das Foto eines einzigen toten Hahns als verstörend einstuft, während allein in Deutschland jährlich 622 Millionen Hühner in feinster Fließband-Manier geschlachtet werden, scheint absurd.
Ich empfinde es als seltsam, dies als „sensiblen“ Inhalt zu zeigen. Man sieht schließlich viele davon im Supermarkt und ich bin mir bei den meisten sicher, dass sie nicht in Freilandhaltung gelebt haben, so wie der Hahn auf diesem Bild.Tadas Kazakevicius, Fotograf
Auch der Fotograf des Bildes war überrascht, als er davon hörte. Tadas Kazakevicius gehört mit diesem Foto zu den Finalisten des „Leica Oskar Barnack Award“. Die Aufgabe des Wettbewerbs war es treffenderweise, die Beziehung zwischen Menschen und ihrer Umwelt in Frage zu stellen. „Das Foto gehört eigentlich zu meiner Bildstrecke über das Verschwinden von Dörfern in Litauen. Im Grunde stand keine große Idee dahinter. Für mich hatte es einfach etwas Symbolisches. So etwas zu sehen war in meiner Kindheit ganz normal. Ich empfinde es als seltsam, dies als „sensiblen“ Inhalt zu zeigen. Man sieht schließlich viele davon im Supermarkt und ich bin mir bei den meisten sicher, dass sie nicht in Freilandhaltung gelebt haben, so wie der Hahn auf diesem Bild.“
Verschläft Instagram hier gerade ebenso den Zeitgeist wie bei der Zensur von nackten Frauenbrüsten?
Wie passt diese Handlung in eine Zeit, in der Menschen vermehrt eine Beziehung zu ihren Lebensmitteln suchen? Eine Zeit, in der die gläserne Metzgerei „Kumpel und Keule“ massiv von Presse und Kunden gefeiert wird und „Nose to Tail“, also die Verarbeitung des ganzen Tiers, von höherpreisigen Restaurants wie dem „Wolfs Junge“ in Hamburg wieder salonfähig gemacht wird. Verschläft Instagram hier gerade ebenso den Zeitgeist wie bei der Zensur von nackten Frauenbrüsten, gegen die Künstler derzeit Sturm laufen? Versucht uns hier ein Konzern seine Auffassung davon aufzudrängen, was in die Öffentlichkeit gehört und was nicht? Oder entspricht Instagram hier tatsächlich dem, was die meisten User als angemessen ansehen?
Für eine Gesellschaft, die Fleisch bewusster konsumiert
Vielleicht ist es letzteres. Denn auch, wenn das Foto des geschlachteten Hahns erschreckend ästhetisch ist, es bleibt ein totes Tier. Für Menschen, deren alltäglicher Feed eher aus Fotos von Feelgood-Momenten und beschwingenden Achtsamkeits-Quotes besteht, eventuell zu real. Doch die Realität ist: Wer Fleisch essen will, muss dafür ein Tier töten. Ein Tier, das ein Herz, Augen und Gefühle hat. Wenn sich jeder von uns jedes Mal damit auseinandersetzen müsste, bevor er eine Packung Hähnchenbrustfilet in seinen Einkaufswagen schmeißt, würden viele Menschen Fleisch wohl deutlich bewusster konsumieren. Eine andere Form der Achtsamkeit, die wir als Gesellschaft kultivieren und dann auch auf Instagram zeigen sollten. Zum Beispiel mit Fotos wie diesem.
Foto: Tadas Kazakevicius