Die Schönheit der Einsamkeit – unsere Reise nach El Hierro

Nach Wochen mit vollen Terminkalendern und To-do-Listen war es für uns Zeit, wieder auf Reisen zu gehen. Viel Natur, möglichst wenig Menschen und trotzdem ein zuverlässiger Internetzugang für die Jobs, die wir nicht einfach zu Hause zurücklassen konnten – das waren die Anforderungen für unser nächstes Urlaubsziel. All das fanden wir auf der für uns scheinbar einsamen Kanaren-Insel El Hierro. Eine Insel, die zumindest für kurze Zeit unser Leben auf dem Festland in Frage gestellt hat.

Es ist bereits dunkel, als wir mit unserem Auto von der Fähre fahren. Der Hafen von El Hierro ist hell erleuchtet. Nur wenige Lichter und der Mond lassen die Gestalt der restlichen Insel erahnen. Unsicher folgen wir engen Straßen und den Rücklichtern anderer Autos, die mit uns von Teneriffa gekommen sind, die Berge hinauf. Als wir in 3000 Metern Höhe in Valverde ankommen, wartet unsere Gastgeberin bereits auf uns. Sie hatte schon gesehen, dass die Fähre angelegt hat und sich gefragt, wo wir bleiben. „Viel Verkehr“, vermutet sie. „Zurzeit ist die Insel voll!“ Unzählige Touristen vom spanischen Festland kämen zurzeit nach El Hierro. Die Insel sei Schauplatz einer neuen Krimiserie. Eine Beobachtung, über die wir in den nächsten Tagen noch häufig schmunzeln werden, wenn wir auf stundenlangen Wanderungen nicht einen Menschen sehen. „Viele Menschen“, das ist eben eine subjektive Definition.

Auszeit vom Leben in der Stadt

Das Leben in der Stadt ist für mich an manchen Tagen nur schwer auszuhalten. Der dichte Verkehr, die vielen Menschen, das Betongrau, der Druck, jemand sein zu müssen, weil jeder andere so spannend, so voller Energie, Selbstbewusstsein und Ideen scheint. Im vergangenen Sommer wussten wir: Wir brauchen Abstand von all dem – wenn auch jeder von uns aus unterschiedlichen Gründen. Es war ein Artikel im Eurowings Magazin, der uns auf El Hierro aufmerksam machte. Die Aussteiger-Insel nannten sie sie. Eine der letzten Oasen der Ruhe. Eine Insel, auf der niemand seine Haustüren abschließt.

El Hierro entdecken – ohne Druck

Als wir am nächsten Morgen aufstehen und El Hierro das erste Mal bei Tageslicht sehen, können wir unser Glück kaum fassen: Von unserer Küche aus haben wir einen unverbauten Blick – den ganzen Berg hinab bis zur Küste. Ein Ausblick, an dem wir uns während unseres Aufenthalts nicht satt sehen werden. Den Tag über laufen wir stundenlang durch das Dorf. Fotografieren, schwelgen im Augenblick, atmen ganz bewusst, um die kühle Luft in unseren Lungen zu spüren, wenn die Steigung der Straße mal wieder ungewohnt steil ist, und genießen, dass wir nicht einem anderen Touristen begegnen.

Die restliche Woche entdecken wir die Insel auf unsere Weise. Wir machen uns keinen Druck, jeden Fleck El Hierros im Schnelldurchlauf gesehen haben zu müssen. Akkus aufladen ist angesagt. Wir schlafen aus, backen selbst Brot, frühstücken ausgiebig und verlassen meist erst zur Mittagszeit unser kleines Gästehaus auf einer ehemaligen Ziegenfarm.

Eine Insel voller Kontraste

Die Natur El Hierros ist so kontrastreich, dass wir bei unseren Ausflügen kaum glauben können, dass wir uns nur auf einer einzigen kleinen Insel befinden. Steile, saftig-grün bewachsene Berge treffen an der Küste auf karge Landschaften, die übersät sind mit herabgestürzten Gesteinsbrocken. In Momenten, in denen der Wind nicht die kühle Luft des Atlantiks über die Insel trägt, brennt die Sonne hier bereits nach ein paar Minuten auf der Haut. Oft zieht es uns deshalb nach kurzer Zeit zurück in größere Höhenlagen, wo wir jeden Abend mit Wein und frischem Fisch ausklingen lassen.

Wollen wir wirklich zurück?

Nur widerwillig verlassen wir nach ein paar Tagen die Insel. Nicht nur, weil uns die Fähre um halb fünf Uhr morgens zurück nach Teneriffa bringen soll, sondern auch, weil uns das Gefühl nicht los lässt: Hier könnten wir auch ein paar Wochen bleiben. Oder vielleicht länger? Könnten wir uns hier ein kleines Haus kaufen, Gästezimmer einrichten und das Selbstversorgerleben führen, nach dem wir uns nach stressigen Wochen im vergangenen Jahr mehr als ein Mal gesehnt hatten? Wir könnten uns Alpakas holen, uns zu Yogalehrern ausbilden lassen und Foto-Touren auf der Insel anbieten. Was von den vielen Dingen, für die wir in Hamburg so hart arbeiten, bräuchten wir überhaupt noch auf einer für uns so einsamen Insel wie El Hierro? Wer wären wir hier, wenn wir das Gefühl hätten, niemand sein zu müssen?

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